GESCHLECHTER BEIM WELLENSITTICH -
AN DEN UNTERSCHIEDLICHEN KÖPFEN KANN MAN SIE ERKENNEN

Es ist bestimmt nicht das bunte, vom Kleid des Weibchens unterschiedliche
Prachtgewand des anderen Geschlechts allein, an dem ein Vogelweibchen sein Männchen erkennt, sondern zumeist wohl das ganze Verhalten desselben und sonstige kleine, feine für uns nicht wahrnehmbare Unterschiede und Erkennungsmerkmale.
Ein Bestimmen des Männchens, das dem Weibchen gleichgefärbt ist, durch das Weibchen erfolgt - in der Paarungs- und Brutzeit wenigstens -wie jeder leicht feststellen kann, sofort auf Anhieb auch ohne dass der Hahn ein Prachtgefieder trägt. Dasselbe ist umgekehrt der Fall; das Männchen erkennt sofort das Weibchen, auch wenn es ihm auf ein Haar gleicht. Dies gilt auch für die weißen Abarten mancher Vögel, zum Beispiel die weißen Zebrafinken. Verwechslungen, dass also ein weißer Hahn ein weißes Weibchen ,,versehentlich" als Geschlechtsgenossen bösartig verfolgt, habe ich noch nicht beobachten können. Es wird auch nicht vorkommen, dass Singdrosseln, Stieglitze, Rotkehlchen, Nonnen und viele andere Gefiederte, bei denen die Geschlechter gleichgefärbt sind, sich nicht augenblicklich erkennen. Die Meldung in einer Illustrierten, dass es einen großen exotischen Hühnervogel gäbe, bei dem die Partner so gleich gefärbt sind, dass das Weibchen erst einen am Bauch des Männchens sehr versteckten Farbfleck besichtigen müsse, ehe es den Hahn erkennen würde, dürfte wohl nur eine ,,Ente" sein. Ebenso halte ich es für höchst unglaubwürdig, dass ein Wellensittich-Männchen ein Weibchen, dessen braune Wachshaut man blau gefärbt hat, nunmehr für ein Männchen ansieht und dementsprechend reagiert.
Die meisten Anfänger glauben, dass die Geschlechter beim Wellensittich sich äußerlich nur durch die Farbe der Nasenhäute unterscheiden. Wer länger Wellensittiche hält und züchtet, wird noch eine ganze Reihe weiterer sekundärer Merkmale sowohl im Aussehen wie im Verhalten dieses Vogels feststellen.
Als im November des vergangenen Jahres die Nächte neblig wurden und die Temperaturen unter Null absanken, brachte ich meine Wellensittiche ins Haus. Sie wurden nach Geschlechtern getrennt in zwei großen Flugkäfigen in einem ungeheizten, aber frostfreien
Raum, untergebracht. In jedem Käfig sind acht Vögel, von denen jeweils vier alte Zuchttiere und vier zur Zucht bestimmte, selbst gezogene Jungvögel sind. Beide Geschlechter leben also unter gleichen äußeren Verhältnissen und bekommen das gleiche Futter: vier verschiedene Hirsesorten, Glanz und wenig Hafer, alles mit Lebertran befeuchtet, dazu Vogelmiere,
Weidenzweige, Apfel, Mohrrüben und Sepiaschalen.
Sieht man die Insassen beider Käfige nach Geschlechtern getrennt unter völlig gleichen Verhältnissen dicht nebeneinander, so fallen einem die Unterschiede im Aussehen und Verhalten besonders stark ins Auge. Die Männchen zeigen leuchtende Farben, größere und gleichmäßigere Kehlflecken, glatteres Gefieder, kräftigere Körper, längere Schwanz- und Schwungfedern, bessere Haltung. Sie sind den ganzen Tag über munter und quicklebendig, atzen sich, jagen sich, balzen, zwitschern fortwährend mit wohllautender Stimme - es ist eine Freude ihnen zuzusehen.
Die Weibchen sind durchweg etwas kleiner und unscheinbarer in der Färbung, zeigen kleinere und ungleichmäßigere Kehlflecken, sitzen oft still auf der Stange in schlechterer Haltung, leicht aufgeplustert, bewegen sich weniger, jagen sich kaum, atzen einander nicht, balzen nur ganz selten und zaghaft untereinander und lassen ihre Stimmen seltener und weniger wohltönend hören. Dabei sind sie körperlich genau so gesund wie die Männchen, keineswegs durch übermäßiges Brüten ausgemergelt und im gleichen Alter wie die männlichen Tiere. Von den gereichten Apfel- und Mohrrübenstückchen nehmen sie fast nichts, an das Grünzeug gehen sie nur zögernd und lassen die Hälfte liegen, ihr Körnerfutterverbrauch ist geringer als der der Männchen. Anscheinend sind ihre Lebensfunktionen bei niedriger Temperatur stärker herabgesetzt als die der Männchen. Gern gehen sie dagegen an Weidenzweige und Sepiaschalen, mit denen sie bedeutend schneller fertig werden als die männlichen Artgenossen. Beringt man etwas ältere Jungvögel, die noch nicht ausgeflogen sind, so kann der erfahrene Züchter, ohne auf die oft noch undeutlich gefärbten Nasenhäute zu blicken, schon aus dem Verhalten des Tierchens mit ziemlicher Sicherheit feststellen, ob er ein Männchen oder ein Weibchen in der Hand hat. Die weiblichen Tiere protestieren meist energisch und temperamentvoll gegen den Eingriff in ihre Freiheit, während die Männchen im allgemeinen viel vertrauter sind und sich schneller in das im Moment Unvermeidliche schicken.
Wenn wir nun einmal den Wellensittichen diese leidigen Fußringe anlegen müssen, so ist es ratsam, dies schon etliche Tage vor dem Verlassen des Nistkastens zu tun, sich die Nummern der festgestellten Männchen zu notieren, denn wenn jene kritischen Wochen nach dem Verlassen des Nestes kommen, die Jungvögel von den Eltern vernachlässigt werden, sie arg hungern, so verwischen sich die Unterschiede in der dafür so charakteristischen Nasenhaut merklich, sie verblasst bei den Männchen manchmal gar sehr und man wird irre an seiner früher gestellten Diagnose.
Die oft sehr spitzbrüstig gewordenen Jungvögel leiden sichtlich und die Nasenhaut, das Barometer für die Gesundheit, schlägt mal hin und mal her. Aber deswegen ein Urteil zu fällen, dass noch kein Geschlecht in dem Vogel sei, dass er noch schwankt, ob er ein Männchen oder Weibchen werde, ist ein Nonsens. Der Vogel ist von Anfang an entweder ein Weibchen oder ein Männchen.
Wenn ich hier die Unterschiede hervorhebe, die weißliche, auch etwas wasserblaue Färbung beim Weibchen, so schließe ich selbstverständlich verschiedene Neuzüchtungen aus, die jene Unterschiede nicht zeigen, die beide meist eine gleichgefärbte, meist rosagetönte Nasenhaut ständig behalten. Viel zur Färbung der Nasenhaut trägt die Ausschüttung der Hormone im Vogelkörper bei. Je älter ein Wellensittich-Mann wird, desto mehr verliert sich das nach dem Eintritt der Geschlechtsreife strahlend türkisblaue Häutchen über dem Hornschnabel. Ein
Vogelgreis hat die Nasenhaut oftmals so vertrocknet braun wie ein schon über die erste Jugend hinausgekommenes Weibchen. Ist jenes erschöpft durch etliche hinter ihr liegende Bruten, so stößt sich diese vertrocknete Nasenhaut sogar gelegentlich ab und darunter
erscheint eine weit hellere. Auch ein sehr krank gewesenes Männchen kann seine verwelkte Nasenhaut einmal abstoßen und - gesundet es sichtlich - erhält es wieder eine blaue Nasenhaut. All jene Erscheinungen tragen dazu bei, dass jenes Märchen von einer Geschlechtsumwandlung beim Wellensittich weit verbreitet ist. Ob der Wellensittich mehr dazu neigt, körperliche und seelische Eigenschaften des anderen Geschlechts anzunehmen als andere Vögel, ist schwer zu sagen. Es wird behauptet, dass die Umwandlung der Geschlechter bei unseren kleinen Australiern manchmal so weit geht, dass ,,Sie" ein ,,Er" wird und umgekehrt - alles sicher Beobachtungsirrtümer.
Da beide Geschlechtsanlagen in den Tieren vorhanden sind, kommt es tatsächlich in späterem Alter bei manchen Gefiederten vor, dass äußere und innere Verschiebungen eintreten. So mancher kennt dies unter der Bezeichnung hahnen- und hennenfedrig. Gar manches Haushuhn wird im Alter ein halber Hahn. So eine betagte Henne bekommt Sporen, fast so lang wie der Hahn - und krähen lernt sie auch!
Zwitterbildungen kommen allerdings vor. Einen von Anfang an nicht ausgeprägten Geschlechtscharakter fand ich hin und wieder. Es blieben, äußerlich beurteilt, Zwitter. Die Nasenhaut war dicht über dem Schnabel weiblich, und zwar tiefer dunkel als sonst bei jungen Weibchen, um die Nasenlöcher herum jedoch ein kräftiges Blau zeigend. Solche Tiere - sie sind gewöhnlich im ersten Lebensjahr nicht ausreichend ernährt worden - kränkeln meist bis zu ihrem Ende.
Die jüngeren, wie auch die älteren Sittichfreunde, die ihre Wellensittiche bisher noch nicht durch die Vereins-Brille beurteilt haben, möchte ich auf den am stärksten in Erscheinung tretenden Geschlechtsdimorphismus aufmerksam machen. Es ist die beim Männchen wie beim Weibchen charakteristische Kopfform, auf die bei vielen Vogelausstellungen besonderer Wert gelegt wird. Man findet diesen Unterschied auch hin und wieder bei unserem ,,Landschlag", im großen und ganzen aber nur angedeutet. Ein ganz gewaltiger Unterschied aber besteht zwischen unseren Tieren und den englischen. Während bei uns erst
seit den 60-er Jahren wieder nach dem Standard gezüchtet wird, züchten die Engländer schon seit vielen Jahrzehnten auf ,,Charakter" und dies lässt sich eben nicht verleugnen. Mag die heute gewünschte typische Kopfform früher auch nicht mehr hervorgetreten sein wie die übrigen Merkmale, so wurde sie doch bei der Herauszüchtung des Rasse-Wellensittichs stark betont und gilt in Züchterkreisen heute als der stärkste äußere Geschlechtsdimorphismus
zwischen Männchen und Weibchen beim Wellensittich. Nachstehende Skizzen mögen den Unterschied ohne Übertreibung veranschaulichen.
Die Züchter wollen keine männlichen Weibchen, so wenig wie weibliche Männchen, aber sie wollen unsere Wellensittiche im Typ an- und ausgleichen bezgl. Der Gestalt und Farbe, mit männlichen bzw. weiblichen Charakterköpfen. Die Geschlechtsbestimmung nach den Nasenhäuten bei den pigmentarmen Wellensittichen wie Lutino, Albino, Falben usw. bringt oft selbst den erfahrenen Züchter noch in Zweifel - doch an den Köpfen solltet ihr sie erkennen!

Wellikopf

Quelle:WOLFGANG UNFRICHT (Deutsche Geflügelzeitung 1/98, S. 36 f.)


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